Lernen unterwegs

Immer wieder werden wir gefragt, wie wir das denn hinkriegen, mit dem Lernen, unterwegs...

 

Nun, wir können es ja quasi gar nicht vermeiden, zu lernen. So sehr man sich auch bemüht, einfach mal nix zu tun - unser Lernen ist jeden Tag mit im Gepäck.

Ganz sicher kann das nicht mit dem Lernen in der Schule verglichen werden, ich weiss nicht wie ich es anders beschreiben soll: Es geschieht. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute. Es kommt darauf an, in welchen Momenten wir offen sind, neuen Erfahrungen zu begegnen und neue Dinge auszuprobieren.

 

Zunächst mal mussten wir als absolute Wohnmobil-I-Dötzchen lernen, wie das so ist, in einem rollenden Zuhause von ca. 12m² mit begrenzten Ressourcen zu leben. War nicht immer einfach, aber man gewöhnt sich... Wir haben ganz schnell gelernt, mit relativ wenig Wasser auszukommen, Zeit- und Streckenplanung an Ver- und Entsorgungsnotwendigkeiten anzupassen, so einzukaufen, dass man nicht unbedingt eine Lebensmittelkühlung benötigt, ausserdem 1000 Arten, einen vegetarischen Eintopf zu kochen. Wir haben gelernt, wie wenig (Klamotten, Kosmetika, Privatsphäre, auch Geldmittel) man eigentlich wirklich nur benötigt, wie wertvoll aber einige freie Minuten zum Krafttanken sein können, wie toll es ist, wenn auf engstem Raum plötzlich untereinander die total entspannte "Wohnmobilstimmung" entsteht, bei der häufig ein Lacher den nächsten jagt. Wir haben lernen müssen, von allzu strengen Planungen Abstand zu nehmen und eher spontan zu entscheiden. Das war zuerst ein bisschen ungewohnt und wir mussten durch eine kurze Phase der Verunsicherung durch, um dann die spontane Freiheit genießen zu können.

 

Es kam total auf Menschen und Orte an, denen wir begegneten, was wir dort erlebten und aufschnappten. Durch die FrancePassion-Stellplätze hatten wir die Möglichkeit, landwirtschaftliche Betriebe in Frankreich kennen zu lernen, die meisten Hofeigentümer nahmen sich Zeit, uns zu erklären, was und wie sie das erwirtschaften. Hatten wir häufig vorher noch nie von gehört...

So besuchten wir "Noisetterien", also Nuss-Plantagen (Wal- und Haselnuss), die Öle, Gebäck, Kosmetika herstellten und uns die einzelnen Arbeitsgänge und die alten Ölpressen erklärten und uns das köstliche Öl kosten liessen, Bisonzuchten, wo wir Einiges über die amerikanischen Bisons lernen und diese beeindruckenden Tiere von nahem bewundern konnten , einen Esskastanienbetrieb, dessen supernette Eigentümerin sich 1,5 Stunden Zeit nahm, uns in allen Einzelheiten zu erklären, wie die Kastanien geerntet und in vielen Arbeitsschritten verarbeitet werden. Sehr beeindruckend war dabei auch die große Halle, in der unzählige professionelle Gerätschaften zu diesem Zweck standen und die alte Kastanienmühle, die mittlerweile elektrisch, früher aber durch Wasserkraft betrieben wurde. Später erlebten wir dann eine ganz alternative Verarbeitung von Esskastanien zu rein privater Versorgung, auch diese Vergleichsmöglichkeit war spannend. Wir besuchten ein Weingut, wo wir mangels Konsum von Alkohol zwar nichts über Wein lernten, aber die anstrengende Erfahrung des Feuerlöschens machen konnten (darüber haben wir bereits berichtet). Eine von uns sogar zweimal besuchte FrancePassion-Stelle gehörte einem Schmied, der sich beim zweiten Besuch extra für Janko Zeit nahm, ihm einen Hammer in die Hand drückte und ihn eine knappe Stunde lang in die Anfänge des Schmiedens einwies.

 

Wir haben am Atlantik ein paar Miesmuscheln gesammelt, gekocht und gekostet, weil Jakob das gerne probieren wollte und die Fortbewegungsweise der grazilen durchscheinenden Garnelen in den Gezeitenpfützen sowie die verschiedensten Algenarten bestaunt.

Die Kinder haben mit meiner Schwägerin morgens Aufwach-Qigong ausprobiert, bei allen Verarbeitungs- und Konservierungsschritten der Esskastanie geholfen und nebenbei noch schnell etwas über Obstbaumveredelung, essbare Pilze und verschiedene Aspekte von Permakultur gehört, diverse spirituelle, politische und gesundheitliche Themen diskutiert und sich über den Bau von Hügelbeeten informiert.

Mia hat irgendwann zwischendurch mit null Ahnung eine problematische Aquarienpumpe für meine Schwester installiert, eine Anleitung fand sich nach einigen Recherchen über google. Sie hat mit Janko zusammen einen halben Tag lang bei der Installation der Solaranlage auf unserem Wohnmobil ordentlich geholfen und sich dabei das ein oder andere erklären lassen, sich ausserdem mit Videobearbeitung und Sounderstellung beschäftigt. Janko hat eineinhalb Tage lang mit seinem Cousin am Aufbau eines stabilen Holzgerüsts für ein Nebengebäude gearbeitet, eine Lichtung mit Motorsense freigeschnitten und begehbar gemacht und irgendwann zwischendurch noch flott eine Einweisung bekommen, den Geländewagen den Berg hoch zu fahren :) Jakob hat begeistert Boule gespielt, wie sich das in Frankreich gehört, wurde von Janko in die hohe Kunst des Straßenkarte-Lesens und Navigierens eingewiesen und hat zum Schluß fleissig Holz gehackt, obwohl er sonst nicht  wirklich für "das Landleben" zu begeistern ist.

 

Während der Zeiten im Wohnmobil, so ganz ohne Internet, kam bei den Kids immer wieder die kreative Ader zum Vorschein und es wurden - nachdem Jakob prustend einen Abend lang Joachim Ringelnatz vorgelesen hat - kürzere und längere Gedichte verfasst. Jakob nach seiner Vortragsreihe von Ringelnatz mit breitem Grinsen und leuchtenden Augen: "Ich versteh zwar fast kein Wort, aber ich find' das irgendwie geil!" :) Er hört leidenschaftlich gerne Battle Rap, auch das schlug sich in manchen Momenten in der Ruhe des Wohnmobils im Verfassen gewagter eigener Texte nieder.

Die Kids haben relativ viel gelesen - wir hatten viiiiel zu wenig Bücher dabei - und der ebook-Reader machte leider irgendwann schlapp. Janko hat auf der Reise Thoreau, "Walden" entdeckt, liest immer mal ein bisschen in "D1E KU5NT DES LGOI5CHEN DNKENS"  (ja, eben! ;-) )  und liest sehr viel englischsprachig im Internet. Er macht die ersten Versuche, auch auf Englisch zu schreiben, ein paar Kapitel sind so bereits entstanden, gerade gestern hat er in einem Team online daran gearbeitet, eine Web Novel, die mittels google-Übersetzer aus dem Südkoreanischen "übersetzt" wurde, in lesbares Englisch umzuschreiben. Mia hat den ersten Band einer englischen ScienceFiction-Serie gelesen, um ein bisschen ins Englische reinzukommen (die nächsten drei Bände warten schon), Stieg Larssons dreibändige Thrillerserie um Lisbeth Salander, Orson Scott Card: Enders Schatten, Hans-Josef Ortheil: Das Kind, das nicht fragte  u.a. Jakob hat ebenfalls Enders Schatten gelesen und sich jetzt Enders Game geschnappt, zwei "Hacker"-Bücher verschlungen (da ist der für ihn momentan absolut wichtige Bezug zu PC gegeben), auf dem ebook-Reader den Ringelnatz entdeckt und "Die Schatzinsel" (ein Buch, das seit Jahren hier zuhause im Regal steht, aber nie angerührt wurde...).

 

Wir haben abends am Lagerfeuer intuitives spontanes Musizieren mit Trommeln, Rasseln und Xylophon ausprobiert und Stock-Brot am Stock, auf dem Gitterrost und einfach auf einem heissen Stein gebacken, Mia fand sich an einem Instrumenten-Markstand, bei dem sie ein Cajón ausprobierte, unversehens in einer spontan anwachsenden  Musikergruppe wieder, die ein Weilchen miteinander trommelte.

 

Dies ist natürlich eine total lückenhafte Aufstellung an Erfahrungen und Erlebnissen, die wir machen durften, aber sie illustriert doch ganz schön, dass das Leben, das man lebt, nicht einfach ohne Spuren an einem vorbeizieht. Und diese vielfältigen Spuren, das ist Lernen :)

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Kommentare: 3
  • #1

    Astrid (Mittwoch, 18 November 2015 21:15)

    so soll es sein, das Lernen :-)

  • #2

    Tina (Samstag, 28 November 2015 09:21)

    Die Pumpe läuft einwandfrei! Tausend Dank! Und vielen Dank für diesen erneuten inspirierenden Bericht, der erneut zeigt, dass wir fürs Leben und durch das Leben lernen und nicht in verstaubten Institutionen! Ich habe immer noch gruselige Erinnerungen an "Stochastik-Stunden" mit Herrn P., oh jehmineh! ;-)

  • #3

    Eli (Samstag, 02 Januar 2016 12:24)

    Hallo zusammen!
    Ein wundervoller Artikel über das bereichernde Leben unterwegs und darüber wie viel man dadurch lernt, einfach zu leben und zu erleben.
    Wir sind ganz begeistert und freuen uns, die wir selbst seit Kurzem auch als reisende Familie unterwegs sind, hoffentlich bald auch solch tolle Geschichten erzählen zu dürfen!
    Danke, dass ihr die Welt durch diesen tollen Blog an euren Abenteuern teilhaben lasst und so ganz viel Inspiration schenkt!
    <3 - lich
    Eli